Verein Gegen Tierfabriken-Obmann DDr. Martin Balluch: „Die Menschen wollen solche Tierquälereien nicht mehr“

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DDr. Martin Balluch ist Obmann des „Verein Gegen Tierfabriken“. DDr. Martin Balluch ist Obmann des „Verein Gegen Tierfabriken“.

Interview: Dorian Krois

SOJ: Sie engagieren sich seit den 80er Jahren für den Tierschutz. Hat sich seitdem etwas verbessert?

DDr. Martin Balluch: Oja, natürlich. Gerade in diesen zeitlichen Dimensionen merkt man erst, wie sehr sich alles verändert. In Zeitspannen von 10 Jahren ist das nicht so zu sehen. In den 1980er Jahren war Tierschutz Teil des Umweltschutzes und noch keine eigenständige Aktivität mit Ausnahme von Tierheimarbeit. Für die sogenannten „Nutztiere“ gab es keinerlei Schutz, ja, man empfand es als absurd, Tiere vor dem Menschen zu schützen, der sie nützen will. Noch im Jahr 2000 war bei einer Umfrage in der Bevölkerung der Schutz von Hühnern die allerletzte Priorität. Nur 5 Jahre später wurden Legebatterien verboten. Heute zeigt das Eurobarometer regelmäßig, dass der Nutztierschutz den Menschen am wichtigsten ist. In den 1980er Jahren war man als Vegetarier total exotisch und extrem, heute ist sogar vegan weitgehend normal. Und wie leicht es heute ist, Tierprodukte in Bio- oder Freilandqualität zu kaufen, davon hätten wir 1985 nicht einmal zu träumen gewagt. Der VGT hat in den 30 Jahren seines Bestehens auch sehr viel weitergebracht, wie zum Beispiel das welterste Pelzfarmverbot, das welterste Verbot von Wildtieren im Zirkus, das weltweit einzige Verbot der Käfighaltung von Fleischkaninchen, die einzigen Tierschutzombudspersonen der Welt, Tierschutz als Staatsziel in der Bundesverfassung, ein absolutes Tierversuchsverbot an allen Menschenaffen inklusive Gibbons uvm.

SOJ: Für die Abschaffung von bestehenden Vollspaltenböden in Mastbetrieben gibt es eine Übergangsfrist bis 2039. Warum hält sich diese Haltungsform so vehement?

DDr. Martin Balluch: Von allen Wirtschaftszweigen in Österreich scheint mir die Tierindustrie am starrsinnigsten, am wenigsten innovativ und am konservativsten. Man setzt offenbar auf die direkten Kontakte in die Regierungspolitik, von denen man sich eine Verhinderung von Fortschritten im Tierschutz erhofft. Aber die Zeichen der Zeit stehen anders. Die Menschen wollen solche Tierquälereien nicht mehr. Und tatsächlich sind sie auch bereit, mehr dafür zu bezahlen, wie wir beim Ende der Käfigeier gesehen haben. Das ginge auch beim Schweinefleisch, nur will man den Versuch nicht wagen. Der mühsame Kompromiss war die lange Übergangsfrist. Ich fürchte die politisch Verantwortlichen setzen darauf, dass sie bei Inkrafttreten des Verbots nicht mehr im Amt sind. Wir bemühen uns jetzt, die Branche, die AMA und den Handel dazu zu bewegen, deutlich früher aus dem Vollspaltenboden auszusteigen.

SOJ: Ihr Verein setzt sich für ein Ende der Nutztierhaltung ein. Wie stellen Sie sich die Grundversorgung der Menschen vor? Sollen alle Veganer werden?

DDr. Martin Balluch: Unser ethisches Ideal ist Gerechtigkeit gegenüber allen Tieren, also auch Gewaltfreiheit mit Ausnahme von Notwehr. Das würde bedeuten, vegan zu leben. Allerdings sind wir uns bewusst, dass das als gesellschaftsweites Ziel momentan nicht praktikabel ist und setzen daher auf pragmatische Reformen zur Vermeidung der schlimmsten Missstände. Theoretisch allerdings scheint mir die Grundversorgung der Menschen auf veganer Basis nicht nur nicht problematisch, sondern einfacher, als mit Tierprodukten. Man bräuchte ja keinen Anbau von Futtermitteln mehr, die den Großteil der Ackerflächen benötigen, und keine Weiden. Tatsächlich bedeutet z.B. die Produktion von 1 kg Schweinefleisch, dass wir 7 kg für den Menschen verwertbare pflanzliche Nahrung in Schweinekot verwandeln. Angesichts von Ressourcenknappheit und Klimawandel ist das sowieso keine sehr vernünftige Vorgangsweise.

SOJ: Gibt es für Sie eine Kompromisslösung?

DDr. Martin Balluch: In unserer täglichen Tierschutzarbeit stehen wir bis zum Bauch im Morast des politischen Kompromisses. Wenn man sich nicht in den Elfenbeinturm des ethischen Ideals zurückziehen will, was wir nicht tun, dann muss man ständig Kompromisse finden. Und, ja, das tun wir daher ohne zu zögern. Ein Beispiel ist, dass wir ein Projekt von 2 Brüdern, die in Loipersdorf bei St. Pölten Schweine in Zelten auf Naturboden mit Wechselweide halten, insofern intensiv unterstützen, als dass wir uns sehr bemühen, das Projekt öffentlich zu machen und Absatzmärkte zu vermitteln. Diese Haltungsform scheint uns eine zukunftsträchtige Alternative zur herkömmlichen Schweinefabrik zu sein. Im Übrigen sind wir Miteigentümer der Gesellschaft „!Zukunft Tierwohl!“, die Gütesiegel für Tierprodukte vergibt.

SOJ: Das AMA-Gütesiegel steht für kontrolliert österreichische Herkunft und soll den KonsumentInnen bei der Kaufentscheidung helfen, die heimische Produkte kaufen wollen. Was halten Sie davon?

DDr. Martin Balluch: Das Problem bei diesem Siegel ist, dass es nie dazu gedacht war, die Tierhaltung zu verbessern. Man wollte eigentlich nur darauf aufmerksam machen, was aus Österreich kommt und was nicht, und bekommt für die Werbung Steuergelder in Millionenhöhe. Ein Gütesiegel, davon gehen die Konsument:innen aus, garantiert auch eine bessere Tierhaltung. Erst seit heuer hat man sich in der Schweinehaltung ganz leicht vom gesetzlichen Mindeststandard entfernt. Doch das reicht nicht. Wir wollen ein AMA-Gütesiegel, das diesen Namen auch verdient und eine echt verbesserte Tierhaltung garantiert.

SOJ: Vor wenigen Wochen wurde vom VGT ein Skandal-Mastbetrieb in Niederösterreich angezeigt. 1000 Tiere lebten dort unter den erbärmlichsten Bedingungen. Rinder standen zum Beispiel in knöcheltiefen Fäkalien-Seen. Es war der bereits dritte große Skandal heuer. Die Rechtfertigung des Betreibers lautete wie in den anderen Fällen: „Persönliche Probleme und Überforderung“. Lassen Sie das als Entschuldigung gelten?

DDr. Martin Balluch: Die Tierindustrie will uns weismachen, es handle sich bei diesen Skandalen um Einzelfälle und Schwarze Schafe. Immer gibt es eine Ausrede. Doch warum werden dann so oft solche Fälle aufgedeckt? Es ist ja ein Zufall, wenn der VGT auf so einen Betrieb aufmerksam wird. Und trotzdem passiert das so häufig. Daraus folgt, dass es sich um einen Systemfehler handelt. Einerseits sind die Gesetze zu lax und andererseits erfordert die Tierschutz-Kontrollverordnung lediglich Kontrollen im Mittel alle 50 Jahre pro Betrieb. Und noch dazu kennen die Amtstierärzt:innen diese Betriebsleiter:innen und melden sich vorher an. Seitens der Amtstierärzteschaft gibt es viel zu viel Toleranz derartigen Tierquälereien gegenüber.

SOJ: Was halten Sie von der Arbeit der Bundesregierung, schließlich sind die Grünen für den Tierschutz verantwortlich. Sind Sie enttäuscht, dass der Tierschutz in der Tagespolitik dennoch nicht präsent ist?

DDr. Martin Balluch: Der große Fehler der Grünen wurde schon in der Verhandlung zum Regierungsprogramm begangen. Man hat alles auf den Klimaschutz gesetzt und den Tierschutz außen vor gelassen. Selbst mit im Tierschutz engagierten Politiker:innen bei den Grünen, die man leider mit der Lupe suchen muss, war daher nur sehr schwer etwas im Tierschutz weiter zu bringen. Meine Hoffnung liegt auf einer nächsten Regierung ohne ÖVP, weil sich diese Partei, man muss es leider sagen, als Anti-Tierschutz-Partei profiliert. Die ÖVP ist aber seit Gründung des VGT in der Regierung. Es wäre also sehr spannend für mich, einmal eine Regierung ohne ÖVP zu erleben. Dann wird sich zeigen, ob die anderen Parteien die ÖVP nur als Ausrede benutzt haben, um sich im Tierschutz nicht bewegen zu müssen, oder ob dann wirklich die Tierschutzlawine losgetreten werden kann. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Süd-Ost Journal

"Für die Menschen, für die Region"